- Geisterroman
- Roman (265 S.)
- Limbus Verlag
- ISBN-Nr. 978-3-99039-085-6
KLAPPENTEXT
Klara reist mit dem Zug nach Prag, wo sie ihre verstorbene Schwester abholen soll, und hätte mit ihrer Familiengeschichte genug Stoff zum Nachdenken, ihr Sitznachbar ist zudem Kafka-Forscher. Da bleibt der Zug im Schneesturm stecken und vermischt sich sonderbarerweise mit jenem Zug, in dem sich Franz Kafka und Otto Gross – Freud-Schüler und skandalumwobener Psychoanalytiker – am 18. Juli 1917 zufällig begegneten. Nun vermengen sich Sommer und Winter, Gestern und Heute, Mögliches und Unmögliches – Kafka gerät in eine Schneeballschlacht und plant mit Gross die Gründung der Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens, Klara trifft ihren Ex-Mann, Rekruten fahren nach Galizien – und warum ist Solveig ausgerechnet in Prag gestorben? Ein Geisterroman und vielmehr als ein Familienroman – Macht und Erziehung, Gewalt und Liebe, Literatur und Rezeption und nicht zuletzt Franz Kafka durchdringen die Jahrhunderte!
REZENSIONEN
Frank Schwarz, Buchhandlung Quodlibet, Neustadt/Weinstraße
Im „Geisterroman“ erzählt Gabriele Weingartner von einer unerhörten Begebenheit: dem Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart. Als Klara nach Prag reist, um ihre tote Schwester Solveig nach Berlin zu holen, gerät der Zug in einen Schneesturm und liegt lahm, „eine halbe Stunde vor Prag.“ Das Abteil teilt sich Klara mit einem raumfüllenden Kafka-Forscher, der seinen Vortragstermin verpassen wird. Aber er weiß Bescheid über die Situation, in der sich beide befinden, denn plötzlich spielt die Zeit verrückt und beide befinden sich im Jahr 1917, in einem Zug, in dem sich der Psychoanalytiker Otto Groß mit dem Schriftsteller Franz Kafka treffen wird. Wo ist Kafka? Könnte man ihn wirklich einfach so treffen? Klara und Slavomir, der Kafka-Forscher, erleben ein literarisches Abenteuer.
Ein schönes Stück phantastische Literatur und ein Roman, der sich auf vielen Ebenen, auch humorvoll, mit dem Schreiben und Denken Kafkas, aber auch mit den Vorstellungen, die wir von diesem Menschen haben, beschäftigt.
Nika, Stories on Paper
„Geisterroman“ konnte mich schnell von seiner besonderen Mischung aus Familientragödie (Klara) und den vielen Fakten über Kafka und seine Verbindungen (Slavomir) überzeugen. Für Kafka-Kenner werden weiterhin viele Details eingebunden, die sich in den Geschichten und im Verhalten der Charaktere ähneln. Als Beispiele sind hier die schwierigen Verhältnisse zu den Eltern, der Druck durch Außenwelt und innere Gefühle, die Verlorenheit in der Gesellschaft und das Scheitern von Beziehungen zu nennen – viel baut Weingartner in „Geisterroman“ ein. Meisterhaft schafft sie eine skurrile Atmosphäre, die von ihren einzigartigen Charakteren lebt und bei der nie genau sicher ist, ob es sich gerade um einen Traum oder die Wirklichkeit handelt.
Holger Pöschl, Rheinpfalz Neustadt
Das neue Buch „Geisterroman“ ist wieder ein echter „Weingartner“
geworden– mit einer grüblerischen Protagonistin im Zentrum –, bietet allerdings auch eine große Überraschung und stellt den Leser durchaus vor Herausforderungen. (…)
Dann allerdings, und das ist eine völlig neue Qualität in GabrieleWeingartners
Werk, vermischen sich auf einmal die Zeitebenen in aberwitziger
Weise: Der Zug, der im Winter 2014 losfuhr, bleibt im Schneesturm
stecken und verwandelt sich in jenen, in dem sich im Sommer 1917 Franz
Kafka und der skandalumwitterte Psychoanalytiker Otto Gross begegneten.
So führt der „Geisterroman“ in manchem eine ganz neue Gabriele
Weingartner vor, bietet aber auch Vertrautes: Er ist mit Sicherheit nicht
so lebensnah wie der Erstling „Schneewittchensarg“ (1996) oder zuletzt besonders das Rentner-Panoptikum der „Villa Klestiel“ (2011), verbindet dafür aber die Vorliebe der Autorin für die Geistesgrößen des Habsburgerreichs, wie man sie aus „Fräulein Schnitzler“ (2006) oder dem Erzählband „Die Leute aus Brody“ (2005) kennt, mit jenen präzisen Beobachtungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die Weingartners Werk von jeher kennzeichnen.
Joachim Geil, Herbst-Buchbeilage der Rheinpfalz
Doch was zunächst wie ein dialogisch referierter Kafkaessay daherkommt, mündet nicht allein in einen Schneesturm, der den Zug kurz vor Prag zum Stehen bringt. Auch vielfältige Verwicklungen brechen sich Bahn. Hier nimmt der Roman richtig Fahrt auf und
entfaltet sich sprachlich von kühler, widerwilliger Erinnerungsskizze zum farbigen Impasto des Lebens von einst und heute. Beschwörend, burlesk, überbordend. Auf einmal sind Reisende imZug, die am 16. Januar 2014, als der Zug in Berlin losfuhr, gar nicht zugestiegen schienen. Fahrgäste vom 18. Juli 1917. Ein interessantes Zugjahr, wie Slavo der Kafkaforscher, zu berichten weiß: Lenin im verplombten Zug Zürich–Petrograd und am 18. Juli dann eben Franz Kafka im Zug Budapest–Prag, zusammen mit dem antibürgerlichen Psychoanalytiker Otto Gross. Der will die „Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens“ gründen, eine ominöse Zeitschrift, deren Titel zu Klaras Lebensmotto geworden ist, verbissen und vergeblich wie die Zeitschrift selbst, die nie erscheint.
Nun geht es zur Sache, der „Brief an den Vater“ flattert ebenso durchs Bild wie Libido und Rebellion. Doch zwischen all dem Historisch-Biografischen taucht eben auch das ganze Dilemma auf, dem Klara noch immer verhaftet ist, „den Ratten, dem Marder, den Dämonen“, der Vergangenheit, denn die Dämonen Kafkas und die der Psychoanalyse sind auch ihre Dämonen. Erstaunlich, wie es Gabriele Weingartner gelingt, diesen üppigen Reigen an Bezügen zu einem fadenreichen Netz zu flechten, von Lenins Zug ist man
schnell bei Lenins Mausoleum mit Lenins Glassarg und sogleich wieder bei der Schwester, ach ja, die „wartet“ ja im Sarg in Prag. Während das Karussell schwungvoll von Anspielung zu Anspielung gleitet und ich mir einrede, nicht alle historischen Personen kennen
zu müssen, erfreue ich mich an jenem munteren „surrealen Ballett“, in dem Kafka schließlich sogar mit nacktem Oberkörper auftritt…
Rowena Körber, Buchkultur, Das internationale Buchmagazin
Gabriele Weingartners jüngster Roman lässt Vergangenes in poetischer Anmut wiederauferstehen, nur um ihm ganz unpoetisch (aber ebenso anmutig) den Garaus zu machen. Im „Geisterroman“ wird Kafka Leben eingehaucht, und mit ihm einem ganzen Milieu, einer Zugladung voll des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Es entspinnt sich ein Roman von so zarter, stilistisch ausgereifter Prosa, dass man manchmal gar nicht glauben mag, was man liest, so zeitlos und entrückt wirkt es. Das ist dann auch der Reiz des „Geisterromans“, eine gewisse Entrücktheit, die auch Klara widerfährt. Ihr Zug bleibt vor Prag in einem Schneesturm stecken; Slavo, der Kafkaforscher, kundschaftet die Lage aus und berichtet Abenteuerliches: Der Zug ist zwar ihr Zug, aber gleichzeitig auch ein anderer, ein Zug vom 18. Juli 1917, in dem auch Kafka unterwegs sein könnte, nebst den üblichen Privatpersonen und Rekruten für den weiterhin andauernden Krieg.
Klara, die bis dahin eine lediglich mäßig interessierte, aber dennoch höfliche Rezipientin von Slavos literaturwissenschaftlichen Ausführungen gewesen ist, macht sich auf, das stillgelegte Gefährt auf eigene Faust zu erkunden, trifft auf ihren Exmann und den Freud-Anhänger Otto Gross und, ja, schließlich auch auf Kafka.
Allerhand Geister also, doch auch dieser Begriff führt in die Irre. Es geht nicht um Geister; es geht um Heimsuchungen, um das Eingeholtwerden von der Vergangenheit. Ihre Schwester Solveig hat Klaras Leben wie keine andere Person geprägt, und übermächtige
Familienmitglieder sind natürlich auch Kafka nicht unbekannt.
Auf diese Weise ist der „Geisterroman“ letztlich auch eine Aufarbeitung lang zurückliegender Familientraumata, die Auseinandersetzung mit einer Nachkriegsjugend, die nicht unbedingt repressiv, aber in jedem Fall emotional beengt gewesen ist, in einer literarischen Komplexität, die Weingartners Romane auszeichnet.
Emma Guntz, DNA L’ALSACE
In Gabriele Weingartners komplexem, raffiniert komponiertem Roman mit seinen vielen literarisch-wissenschaftlichen Dsikursen, die eine seltsame Sogwirkung auslösen, ist Klara die Zentralfigur. Sie ist die Protagonistin, die sich selbst und ihre Umwelt durch ein Vergrößerungsglas beobachtet und selbstquälerisch an den verschiedensten Punkten ansetzt. Sie liefert die Perspektive auf die wahrgenommene Welt, wobei Erinnerungen und Wahrnehmungen ineinanderfließen. Beobachtetes und Erinnertes treten je nach Zeitverschiebung in die Handlung ein, wobei Klaras Zeitgenossen mit quasi mythischen Gestalten (Kafka, Gross, Werfel) konfrontiert werden. „Geisterroman“: ein Buch, das man nicht nur einmal lesen sollte …
Walter Klier, Wiener Zeitung, „Neues und Altes von alten Bekannten“
Ein neuer Roman, der von alten Bekannten handelt: Eine Frau reist im Zug von Berlin nach Prag, um von dort die sterblichen Reste ihrer Schwester abzuholen. Der Zug bleibt im Schnee stecken, und die Heldin taucht in einen Traum ab, der Zug vermischt sich mit einem anderen, worin am 18. Juli 1917 Franz Kafka und Otto Gross ebenfalls auf derselben Strecke reisten. Die Autorin inszeniert diese Zeitreise in der stillvergnügten Art eines alten Stummfilms, wo der Heldin (in Nahaufnahme) die Augen zufallen, das Bild verschwimmt, und als es wieder scharf wird, sind wir in einem anderen Jahrhundert gelandet und Franz Kafka in einer Schneeballschlacht. Wir kommen auch wieder zurück ins Heute, so beiläufig, wie das einst Julio Cortázar gemacht hat in seiner Kurzgeschichte über den großen Stau auf der Autobahn vor Paris.
Rolf Löchel, literaturkritik.de
Weingartner strickt allerlei Querverbindungen zwischen den historischen Figuren und den Familienmitgliedern ihrer Protagonistin. So sind Klara und ihre Schwester ebenso Mutter-Opfer, wie Gross und Kafka „Vater-Opfer“ sind. Auch führt Solveig stets „Reden gegen dem Machtwillen“, was auffällig mit dem Anliegen der von Grossʼ geplanten Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens korrespondiert. Die Autorin hat bis in die Nebenfiguren hinein interessante Charaktere geschaffen, mit denen sie – ebenso wie mit den Lesenden – manch lustiges Spielchen treibt. Etwa wenn sie die in kulturellen Dingen ziemlich unbeleckte Protagonistin fragen lässt, wer Fafner sei, während ihr Verflossener gerade ein „Riesen“ in den Zug hievt. Oder sie lässt eine „Dame in grünem Kostüm und offenem braunem Mantel“ ausgiebig in einem Reclam-Heft lesen. Auch hat Weingartner allerlei Zitate von hier und dort zusammengeklaubt und teils recht unauffällig eingebaut. Selbst die Bundeskanzlerin darf sich, wie es ihre Art ist, mit einer Allerweltssentenz zu Wort melden. So ist der Autorin ein unterhaltsam-amüsanter Roman gelungen, dessen Feinheiten allerdings wohl diejenigen unter den Lesenden besonders goutieren können, die der Protagonistin voraus haben, dass ihnen Gross und sein Tross schon vor Antritt der Reise keine Unbekannten sind.
Ronald Schneider, Rheinische Post
Es geht in diesem virtuos erzählten Zeitreise-Roman um die Voraussetzungen des Gelingens oder Misslingens eines Lebens und um die Möglichkeit von Nähe und Liebe zwischen zwei Menschen. Es geht aber auch um die Literatur als Entdeckungsreise in fremde Kontinente, die in unserem eigenen Inneren zu entdecken sind. Kafka, für den Dichtung wirken soll „wie ein Messer für das gefrorene Meer in uns“, wird in diesem ungewöhnlichen Roman Gabriele Weingartners zu einem Reiseführer in magische Welten, in denen sich unsere eigene Wirklichkeit spiegelt und in denen wir erkennen, wer wir in Wirklichkeit sind.