Tanzstraße

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  • Tanzstraße
  • Roman (251 S.)
  • Limbus-Verlag
  • ISBN-NR. 978-3-902534-32-3

 

KLAPPENTEXT

Lilian und Martin sind ein eher ungewöhnliches Liebespaar. Sie – Übersetzerin alter Handschriften – könnte seine Mutter sein, und er – ein erfolgreicher, aber gestresster Arzt – verliebt sich eher zufällig, denn anfangs ist alles nur Spielerei, nämlich eine Wette mit einem Freund. Dass er sich in eine ältere Frau überhaupt verlieben kann, überrascht ihn. Lilian aber flüchtet vor dieser Nähe in die Stadt ihrer Kindheit und begibt sich auf die Suche nach dem „Beginn ihrer Herzlosigkeit.”

Tanzstraße ist ein wunderbares Erinnerungsbuch, ein Kaleidoskop einer nicht ganz unbeschwerten Kindheit in der Nachkriegszeit. Denn die Wirtschaftswunderjahre sind nicht für jeden eine glückliche Zeit, im Gegenteil: hinter den bürgerlichen Fassaden in der Provinz kommen allzugern Risse zum Vorschein, die nicht so leicht zu kitten sind.

 

 

REZENSIONEN

Walter Klier, „Wiener Zeitung“

Die verlorene Zeit

  • Der neue Roman von Gabriele Weingartner ist nebenbei eine Liebesgeschichte und in der Hauptsache ein Erinnerungsbuch. Eine kleine Stadt im westlichsten Deutschland in den fünfziger Jahren: gutbürgerlich, einmal mehr, dann wieder weniger, tratschsüchtig, neidig, bigott; dazu mangelhaft integrationswillige Ostflüchtlinge, durchgeknallte Kriegsversehrte als Lehrer, und die Kaufleute spüren schon die ersten Würgegriffe von Quelle und Neckermann. Wie war es in der Schule, im Schwimmbad, in der Kirche? Wie kalt waren die Winternächte in jenen Zeiten ohne Zentralheizung? Und wie war das mit den Dauerwellen?
    Währenddessen ist die Jugend auf ihre unverwechselbare, unbeholfene, abenteuerliche Weise unterwegs zu ihrem je eigenen Ich, das am Ende oft ein ganz gewöhnliches sein wird. Mit sinnlicher Genauigkeit und Beharrlichkeit geht die Autorin auf die Suche nach ihrer verlorenen Zeit.

 

Michael Buselmeier, „Die Rheinpfalz“

Edenkoben – sterbende Stadt?

  • Dieses sehr persönliche, autobiographisch inspirierte Buch ist in seinem Kern ein Haken schlagender Briefroman. Die nach E. zurückgekehrte Lilian schreibt, hinter einer Sonnenbrille getarnt den Ort durchstreifend, insgesamt neun Briefe mit Erinnerungssplittern an Martin in ihr Notebook. Hinzu kommen wenige Kapitel, in welchen das Geschehen aus der Perspektive des geistig etwas behäbigen und schwach profilierten Geliebten betrachtet wird – alles geschrieben mit leichter Hand und einer stilistischen Eleganz, die sich dem psychologischen Realismus verpflichtet weiß. Der kommt freilich im Ich- oder Briefroman, wo radikale Introspektion gefragt ist, nicht ganz so glanzvoll zur Geltung, wie das bei einem vielstimmig instrumentierten Erzählen der Fall wäre, das den Worten und Taten der „Tanzstraßen“-Bewohner mehr Raum böte. Auch die Thomas Mann’sche Ironie, die Gabriele Weingartners bisherige Bücher prägte, tritt im Briefroman naturgemäß zurück. Gleichwohl haben wir es wir hier mit dem ersten wirklichen Edenkoben-Roman zu tun, ein Buch über die Stadt selbst und weniger über die vom Wein geprägte Landschaft, in dem auch die königliche Villa Ludwigshöhe, der den Ort durchfließende Triefenbach und die schlauchartig engen Gässchen („Pädel“ genannt) mitspielen. Ein Ostergeschenk nicht nur für Pfälzer.

 

 

Herbert Asel, „RBB-Info-Radio-Kultur“

Neu im Bücherregal: Heimatromane

  • Gabriele Weingartner hat einen Roman über die Schwierigkeit geschrieben, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, einer – im Großen und Ganzen – nicht außergewöhnlichen Vergangenheit, die dennoch schmerzt. Was bedeutet es für das Erinnern, wenn damals kein Sprechen möglich war? Und für einen Moment erhalten wir Einblick in jene Melancholie der Vergeblichkeit, in jene Abgründe der Erwartungen, die das Wirtschaftswunder begleiteten. Während sich die Weindörfer ringsum an der Weinstraße der neuen Realität „Unser Dorf soll schöner werden“ schon früh anpassen konnten, wird übrigens in E., so steht es am Ende des Romans, erst jetzt über eine künstliche Rekonstruktion des Stadtbildes und damit der Vergangenheit nachgedacht.

 

Dorothea Dieckmann, „Deutschlandfunk“

Erinnerung als erlebte Gegenwart

  • Rheinland-Pfalz ist nicht nur die Herkunftsregion von Gabriele Weingartner, sondern auch ein wichtiger Aktionsradius ihrer kulturjournalistischen Arbeit. Ihre eigenen Prosawerke dagegen waren in der Ferne angesiedelt. Erst mit „Tanzstraße“, ihrem vierten Roman, ist die 61-Jährige in ihrem pfälzischen Geburtsort angekommen. (…)
    In ihren Schilderungen werden die fünfziger und sechziger Jahre lebendig und mit ihnen die äußere und innere Provinz der Nachkriegszeit, dumpf, autoritär und bigott. Da sind die Eltern, die ein Wäschegeschäft führen: Der Vater ist als Handlungsreisender mit Büstenhaltern und Miedern unterwegs und geht allerorten fremd, die Mutter beherrscht den familiären Gefühlshaushalt. Da sind der kriegsversehrte Lehrer, die Friseurin mit dem hochtoupierten, wasserstoffblondierten Haar, der unzuverlässige, gewissermaßen falsch tickende Uhrmacher, die Putzfrau Anna, die im Elendsquartier „Russischer Hof“ wohnt, und dazu all die Requisiten der kargen, harten Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders, Ochsenschwanzsuppe und Stopfnadeln, Resopal und Holzwolle, Hula-Hoop-Reifen und Gummibäume, vor allem aber Ölöfen, klamme Finger und Eisblumen. (…)
    Das so detaillierte wie eindringliche Bild dieser kümmerlichen und kummervollen Kindheit und Jugend im Nachhall des Krieges wird jedoch dadurch getrübt, dass sich Gabriele Weingartner einer allzu redundanten Erzählweise bedient, die kaum ins Genre der Briefe passt.

 

Rotraut Hock, „Allgemeine Zeitung Mainz“

Edenkoben ist überall

  • Eine Kindheit im ländlichen Raum, in den frühen Jahren der westdeutschen Bundesrepublik. der Zaun auf dem Schulhof zwischen evangelischen und katholischen Kindern ist unüberwindlich, der Lehrer prügelt und schreit „Hitler lebt“, flüchtlinge tauchen im Städtchen auf, wer weiß, was die angestellt haben, man nimmt besser die Wäsche rein. „Man“ weiß jederzeit, was sich gehört. Kinder, die aus der Reihe tanzen, werden mit Härte zur Raison gebracht.Albtraum Heimat. Albtraum Kindheit.
    Gabriele Weingartner hat den Roman in Briefform geschrieben, auf diese Weise kann sie die Kindheit der Protagonistin nach und nach aus unzähligen kleinen Erinnerungssplittern zusammenfügen – und schafft eine Distanz zu den Personen und Ereignissen, für die man beinahe dankbar ist. Ebenso erklärt sich, weshalb die Frau ihre Briefe auf fliegende Blätter schreibt, obgleich der Freund ihr eigens für diese Reise ein notebook geschenkt hat. Sie will sich selbst symbolisch demonstrieren, wie wenig das Gestern mit dem Heute zu tun hat. Oder bildet sich in diesem Verhalten nur das alte Kindheitsmuster ab, das entschlossene Verdrängen alles dessen, was nicht hätte sein dürfen?
    Gabriele Weingartner ist eine Meisterin, wenn es darum geht, ihre Leser in die dunklen Irrgärten der Psyche zu führen – in „Tanzstraße“ ebenso wie zuvor bereits in ihrem Roman „Fräulein Schnitzler“.

 

Emma Guntz, „Dernières Nouvelles d’Alsace“

Eine Art Lebensbeichte

  • Glasklar, plastisch und gleichzeitig zerfasernd, in skurrilen Einzelheiten schwelgend, ohne Larmoyanz oder ausufernde Sentimentalität ist Gabriele Weingartners Sprache. Und sollte es einmal einen Ansatz zum „Ausladenden“ geben, kehrt sie dieser Versuchung souverän den Rücken und findet zurück zu kühler Beobachtung und schmerzlicher Beherrschtheit. Wobei die Frage offen bleibt, ob die Ich-Autorin der dreizehn Briefe und die Autorin des Romans mehr gemein haben als das fiktive Ich…